Dienstag, 15. Oktober 2013

und gleich noch ein bißchen reklame

okay, okay, ich werde jetzt kein bild von meinem aktuellen lieblingstee (copal thé vert orient, grüner tee mit zimt - ohne zucker natürlich, du banause! wie kann man zucker in den tee kippen? igitt!) posten, keine panik ... dafür aber noch mal auf ein buch hinweisen, das eigentlich einen #aufschrei im lande auslösen müsste ... es aber interessanterweise nicht tut.

gemeint ist das buch von malte herwig "die flakhelfer", das mir vor zwei monaten vor die füße fiel und das ich - bei dem versuch, dieses land und was es im inneren bzw. unter der decke treibt, zu verstehen - so hilfreich finde wie ingrid müller-münchs "die geprügelte generation".

wobei beide das selbe schicksal teilen: sie werden geflissentlich ignoriert.

was mich, offen gestanden, einerseits geradezu auf die palme bringt - was ich aber auf der anderen seite nur allzu gut verstehe: es gibt nicht "schlimmeres" als an tabus zu rühren. frau müller münch's buch erklärt ja, warum "wir" so ein im grunde feiges völkchen sind: wir haben angst vor schlägen, konkreter die generationen, die dieses land geprägt haben, sind generationen, denen man das verständnis der welt und der regeln, an die wir uns gefälligst zu halten haben, noch mit dem rohrstock eingebleut hat.


ich will hier nicht lange herumjammern über persönliche erfahrungen, in meiner schulzeit konnte es einem noch passieren, daß man sich plötzlich über das lehrerpult gebeugt wiederfand und dann auf den rohrstock wartete. das war "normal" so abartig es im grunde ist.

ich habe mich hier ja gestern noch mal auf montaigne bezogen, der mann wusste jedenfalls schon vor jahrhunderten, daß dieses "einbleuen" nicht funktioniert. es wirkt bloß, es macht engstirnig, obrigkeitshörig, unfähig, den rahmen des eingebleuten zu sprengen. kurz, es erklärt, warum wir deutschen über generationen so waren, wie wir nun mal waren, warum wir uns mit veränderungen so schwer tun, daß wir versuchen, sie lieber lange zeit zuerst einmal einzudämmen und sie erst dann akzeptieren, wenn es eben nicht mehr anders geht.

daß diese generationen nur ungern darüber reden, wie das war, als sie noch ungestraft verprügelt werden konnten, kann ich gut verstehen. es rührt an oft sehr persönliche tabus, in denen zt. väter und mütter, selbst vielleicht noch von der erfahrung, in einem keller einer stadt zu hocken, die gerade bombardiert wird, traumatisiert, eine unrühmliche rolle spielen. wer stellt sich schon gerne vor ein forum und sagt "mein vater war ein gewaltätiges unbeherrschtes arschloch"?

so wenig, wie sich niemand gerne vor versammelter mannschaft darüber ausläßt, daß der vater vielleicht gegen kriegsende munition in eine flak geschoben hat oder gar selbst mitglied einer partei war, die heute einen schlechten ruf hat. nach dem krieg waren ja alle im widerstand gewesen und hatten niemals etwas mit diesem pack zu tun gehabt.

gestern lief im drk in der reihe "das blaue sofa" ein - leider nicht ganz so tolles, wie ich nach dem buch vielleicht erwartet hatte - interview mit malte herwig, das ich hier (neben dem interview mit christopher clarke über sein neues buch, das den weg in den ersten weltkrieg aus einer interessanten perspektive neu denkt) nur zu gerne weiterempfehle.- im gegensatz zu dem "blauen sofa" mit andreas eschbach, das ich nach fünf minuten einfach nicht mehr ertrug, weil ich mich fragte, ob der interviewer bekifft oder einfach nur in eschbach verliebt war, so unerträglich wurde mir sein ständiges gegigelle ... wie ein 15jähriger, der miley cyrus trifft ....

herwigs buch ist eine atombombe.

was, wenn ich das bild gerade bedenke und die art, wie er an das thema herangeht, kein gut gewähltes bild ist - er verstrahlt ja nicht das gelände oder verunmöglicht das gespräch, das nach der lektüre zu führen wäre - im gegenteil. er macht sich die pose nicht zu eigen, in der die 68er mit ihren eltern in einem ton redeten, der die weitergabe von erfahrungen im grunde komplett unmöglich machte (eine der erkenntnisse, die ich jedenfalls aus dem buch gezogen habe) und der, das habe ich hier ja schon mehrfach genüsslich ausgebreitet, von einer generation angeschlagen wurde, die selbst ein bißchen "organisation consul" und "volksgerichtshof" spielen wollte und so nichts ahnend sich als perfekte nachfahren der verbrecher der 30er/40er jahre erwiesen.

herwig ist sanft. er will nur die wahrheit.

was immer das auch sein mag, aber unterstellen wir einmal, er meint mit "wahrheit" so etwas wie "die fakten", dann kann man diese forderung ja nur teilen. wie sieht sie denn nun aus, "die wahrheit"? nun ja, in etwa so:
"Ich glaube, dass uns noch die Augen übergehen werden, wenn wir feststellen, dass nicht nur die 50er Jahre unter Adenauer und Globke eine Zeit der Verdrängung waren, sondern auch die 60er Jahre, die 70er Jahre. Vom Kabinett Konrad Adenauers bis zu dem Helmut Kohls saßen in jeder deutschen Regierung ehemalige NSDAP-Mitglieder am Kabinettstisch. Allein unter Willy Brandt dienten zwölf ehemalige Nationalsozialisten als Minister und noch in den 60er Jahren war die stärkste Fraktion im Bundestag nach der ersten Parteizugehörigkeit die NSDAP."
schlimmer noch: wir könnten deren namen alle seit den 80ern/90ern kennen, wenn ...

nun ja, wenn der dreh- und angelpunkt seiner geschichte, die erhaltene kartei aller parteimitglieder von unseren regierungen, bis hin zur aktuellen, nicht in der verwaltung der amerikaner gelassen worden wäre und alle angeblichen anstrengungen, ihrer habhaft zu werden, von unseren regierungen mit händen und füssen verhindert würden.

weil, nun ja, das wäre dann wirklich die atombombe ...

die methode: man fährt zu den amerikanern, sagt dort "liebe leute, zuhause drängen sie darauf, daß wir sie von euch fordern, aber mal ehrlich, uns wäre der besitz nicht gerade recht. könntet ihr bitte nicht so tun, als hätten wir hier alles getan, damit ihr sie rausrückt und schiebt dann ein paar gründe vor, warum das nicht geht?"

ach ja, die gedankenautobahn ...

um zu verstehen, welche kontinuität uns mit dem verbindet, was "der adolf" (und nicht etwa die vielen kleinen parteisoldaten, iwo, wie komme ich bloß auf so einen gedanken?) hier angerichtet haben, sind die einsichten, die herwig in seinem buch ausbreitet, essentiell.

aber sie sind so schmerzhaft, daß ich denke, sein buch wird unter "ferner liefen" nicht sehr viele wellen schlagen, so wenig wie das von frau müller münch.

beide berühren schmerzhafte tabus und weil das so ist, wird wohl alles so weitergehen, wie bisher. wir werden uns durchwurschdeln und nie recht verstehen, was mit uns als "volk" wohl los ist. es wird immer dieses unbehagen geben, diese schmerzhafte stelle, an die niemand recht rühren will und wenn es dann doch einer oder eine tut, dann ist es das sinnvollste, nicht lange darüber zu reden.

geschweige denn einen großen "skandal" zu inszenieren, der erst recht die aufmerksamkeit auf diese bücher lenken könnte.

zu christopher clarke bleibt noch ein bemerkung zu erwähnen, die er macht und die bei mir einen kleinen "aha-effekt" auslöste, da ich das im grunde ab und an ähnlich erfahre. er schildert, wie sehr ihn das mitnahm, dieses buch zu schreiben und sich dabei in die zeit zu versetzen.

daß er dabei oft nachts hochschreckte und am nächsten tag seine frau in aufruhr versetzte mit der idee, die kinder nach australien zu bringen, weil uns hier so etwas jederzeit wieder passieren könnte und er das nächste hineinrutschen schon glasklar vor augen hatte.

ich gestehe: mir geht das genau so.

was die meisten von uns aus den augen verlieren: es gibt nun einmal nichts instabileres als geschichte.

florian illies gelingt es ja in seinem buch "1913" ein jahr zu schildern, das als eines der spannendsten gelten kann, er läßt die wunder jenes jahres an uns vorbei revue passieren und wenn wir sie sehen, wünschen wir uns, alles wäre so weiter gegangen, wie es sich in jenem jahr abzeichnete, kultur und wissenschaft machen sprünge nach vorne, alles sieht nach einer goldenen zukunft aus ... und dann passiert das, was christopher clarke schildert ... eine kette von zwangsläufigkeiten lässt alle in ein inferno rutschen.

ich glaube nicht, daß wir "in sicherheit" sind, im gegenteil, ich sehe eher die neigung, ein paar dinge, die uns bislang geschützt haben, peu a peu zurückzudrehen ... etwa durch die schleichende renationalisierung, die mama merkel da zb. betreibt. das stetige ansteigen einer stimmung, die nur den eigenen vorteil in den mittelpunkt stellt und die interessen des ausgleichs weit weg. die radikalisierung der quartalsirren, ob sie nun gegen den euro, gegen das ganze europäische projekt oder einfach "nur" gegen den "zigeuner" sind, der ihnen ihre butter vom brot nehmen will.

ich sehe, wie das, was man früher eindeutig der NPD zugeordnet hätte an schwachsinn, sich heute bedenkenlos als vielleicht unangenehme, aber doch im grunde akzeptierte meinungsäußerung durchgeht - und ich glaube nicht, daß ich zu "alarmistisch" bin, wenn ich darauf hinweise, daß das ja wohl nur der anfang ist und das netz von seiten im www, die nur an der oberfläche noch teil eines wie auch immer definierten common sense zu sein scheinen, in wirklichkeit aber wohl von rechten kreisen wie der NPD initierte leimruten sind, immer enger wird.

nun gut, ich wollte ja nicht den teufel an die wand malen, nur ein ums andere mal darauf aufmerksam machen, daß die welt gerade tag für tag ein bißchen näher an die nächste große katastrophe rutscht.

in diesem sinne: hab' spaß solange das noch geht ;-)

[ps] verrrrrdammmmmmd ....

sorry, aber ich muss einfach das eine oder andere, das jetzt nicht direkt was mit dem thema zu tun hat, noch anhängen.

zunächst einmal gibt's da heute diese geschichte mit den "ausländern" (diesmal in russland), von denen angeblich einer einen jungen russen abgestochen haben sollen, was dazu führt, daß eine meute mal kurz progrom spielt, was an sich schon ein echter aufreger wäre, wäre da nicht die reaktion der obrigkeit: die läßt, um vorzubeugen, daß weiter junge menschen gegen "die ausländer" aufgehetzt werden können ... na was? ... genau - razzien gegen die "ausländer" durchführen läßt. das muss man sich auf der zunge zergehen lassen ...

und, weia, ein post von ben, das daherkommt wie eine liebeserklärung an die zeitungen geo und de:bug, sich dann aber als ritt quer gegen die hysterisierte ideenlaufkundschaft entpuppt und ben eine lanze für big data etc. reiten läßt, den man so erst mal wegstecken, sprich bedenken soll. das ist tatsächlich die eine seite der münze, die andere ist diese: big brother is watching you mag ja langsam nicht mehr so recht zeitgemäß scheinen, ist es aber trotzdem immer noch.

freiheit ist eben nicht nur, nichts mehr zu verlieren zu haben, freiheit ist auch, etwas verbotenes überhaupt noch tun zu können, ohne daß eine drohne den regelverstoß sofort weiterreicht. und, sorry und in bezug auf das, was ich da oben über christopher clark & florian illies gesagt habe, es ist eben nicht davon auszugehen, daß _wir_ bestimmen werden, was mit den daten geschieht ... ich befürchte, das wird der nächste hitler (von dem ich übrigens seit 30 jahren behaupte, daß es wohl eine frau sein wird, die wir allen abgöttisch lieben werden) tun.

so schön das war, in den 60ern zukunftsbejahende visionen zu haben, gebietet es eigentlich die vernunft, nicht ausser acht zu lassen, was in ungarn oder eben in russland passiert, genau zu beobachten, wie seit fast nun 20 jahren das, was mal stabil war, zunehmend zerbröselt und die - sorry für die wortwahl - scheisse immer ersichtlicher aus den gullies der welt in die hauptstraßen spritzt.

da fällt es mir persönlich irgendwie nicht gerade leicht, ben's optimismus zu teilen ...

5 Kommentare:

  1. Es ist zum Kotzen! Da hat so ein rechts-außen-Blogger meinen ganzen Artikel zur Kritik am Freihandelsabkommen geklaut und in voller Länger in seinem "völkischen" Blog veröffentlicht - furchtbar!

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  2. ja, ich war ganz irritiert, aber so arbeiten die jungs halt: sie ziehen sich unsere klamotten an und räubern unsere ideen. ich drück dir mal die daumen, daß du den knilch an den testikeln zu fassen kriegst und er dich nicht als "zeugin" für seinen bullshit mißbrauchen kann.

    der, wenn du mich fragst, von wasweissichwem finanziert und als teil einer sehr breit angelegten kampagne zu verstehen ist. halt meine üblich paranoia ;-)

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  3. Ganz so geradlinig ist es oft nicht - mein Vater war ein ziemlich sanftmütiger Kerl, wiewohl national (Stahlhelm, aber nie beim Adoof in der Partei, nach dem Krieg in der DP, so einer DVP-Nachfolgeorganisation). Diejenige mit der schweren Hand aber, das war meine Stiefmutter, seine zweite Frau, älteste Tochter eines höheren preußischen Beamten. In erster Ehe war die mit einem 'entarteten Künstler' verheiratet gewesen, deshalb auch mit ihrem Mann ins Exil gegangen. Nach dem Krieg früh Witwe und Hauswirtschaftsleiterin in deutschen Edel-Internaten. Die exekutierte körperliche Strafen geradezu systematisch, als gäbe es dafür einen Masterplan ...

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  4. klaus, gradlinig ist es nie.

    es gibt tatsächlich keinen konkreten zusammenhang zwischen nazitum und gewalt. ich denke, das sind so was wie "familientraditionen", das war halt so und man hat es einfach weitergereicht - bis jemand die kette unterbricht. bei mir zuhause gab's ja tatsächlich keine nazis, der großvater ein christlicher gewerkschaftler, csv ortsgruppenvorsitzender, keine ahnung wie der mit seinen kindern umgegangen ist, aber mein alter herr war eher so dieser typ unbeherrschter jähzorn. die kette habe ich auf jeden fall unterbrochen.

    ich finde den ansatz von herwig jedenfalls mehr als spannend: er verlangt ja kein "eingeständnis", eher ein "ich hab's verstanden, warum das falsch war und das und das habe ich nun daraus gelernt" von leuten wie grass zb. das buch hat mir auch klar gemacht, was "wir" im umgang mit denen falsch gemacht haben mit unserer angeblichen moralischen reinheit: wenn du dir die RAF anguckst - im kern nazis, die auch mal volksgerichshof und organisation consul spielen wollten, so vebohrt wie die alten, sehr deutsch.

    ich find's halt interessant, wie die beiden bücher medial untergehen, dabei könnten sie ne menge erklären darüber, welche kontinuität da noch heute besteht und wer uns eigentlich schon immer regierte: nazis und deren kinder.

    das buch von christopher clarke ist auch hochspannend. ich bin zwar erst bei seiner beschreibung des serbischen teils der geschichte (lesen dauert bei mir länger, hören ist einfacher), aber ich verstehe schon, warum dem manchmal der schreck in die glieder gefahren ist - bei den serben hat sich ja nicht soooo viel verändert ...

    ich habe aber auch gerade den unterschied verstanden: heute finanzieren die franzosen nicht mehr solche haderlumpen, um den östereichern das messer in den rücken zu stoßen ...

    spannende lektüre ....

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  5. ach ja, ich hoffe du hast einen blick auf mr snoids art geworfen und seinem dad in die augen geguckt - sehr saarländisch. ich glaube, er hat mich gerade fröhlich angeblinzelt ...

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