Montag, 11. März 2019

ein bißchen ungenierter lokalpatriotismus

ich erinnere mich an einen jungen mann, von dem ich, als ich ihn kennenlernen durfte (sic!), dachte: "der wird mal was. und wenn wir alle vergessen sind, wird man seinen namen noch kennen."

das war "damals", ende der 90er, ein bißchen eine gewagte idee.

nicht, daß er nicht schon das eine oder andere wirklich bemerkenswerte hingelegt hatte. wie etwa das "maria-syndrom"



oder die I.R.A. ("initiative for religiöse abrüstung")



aber er war halt ein "freak".

na gut. das waren "damals" im grunde alle, die ihr eigenes ding durchzogen, ohne einen scheiss drauf zu geben, was wohl "die anderen" davon halten könnten. also die, die mehr damit beschäftigt sind, das zu bewerten, was andere so tun - und weniger damit beschäftigt sind, selbst etwas zu tun, mit dem man sich dem unverständnis oder der "kritik" anderer aussetzen könnte.

war ihm zu dem zeitpunkt wohl eher genau so egal wie mir. er hatte "ziemlich dumme ideen" - und obwohl sich seine von meinen ziemlich unterschieden, gab's eine menge dinge, die ihn mir mehr als sympathisch erscheinen liessen - und sei es nur die gemeinsame vorliebe für zappa oder gentle giant


fun fact am rande: er machte mich darauf aufmerksam, daß es da wohl eine newsgroup gab, in der sich fans der band zusammengerottet hatten, sich darüber beklagten, daß die keinen plattenvertrag hatten und es schwer war (ach ja, die "guten alten zeiten"), überhaupt noch an ihre platten zu kommen. daß die band davon kenntnis bekommen hatte und die fans bat, ihnen doch einen vorschlag für einen sampler zu machen, für den sie gerade einen deal bekommen hatten. lange bevor so etwas wie napster oder gar fakebook die tore öffnete und das netz mit geschnatter und kostenloser musik flutete.

nun ja, ich fand mich - aus umständen, die ich nicht ausbreite, habe ich seit 20+ jahren nicht getan, also warum sollte ich jetzt mit dem gejammer anfangen - in einer wohl ausgestatteten bibliothek wieder - herrimhimmel, ich liebe wohl ausgestattete bibliotheken und in seiner fühlte ich mich irgendwie "zu hause". und dann in einer langen diskussion, in der der atheist in ihm und der buddhist in mir ein wenig aufeinander prallten, ich damit leben lernte, daß es menschen gibt wie ihn, die einfach mal so auswendig und ausufernd ganze passagen aus büchern zitieren konnten, und daß es neben meinem leben in einer hermetischen garage auch so etwas wie partys und geselligere varianten gibt - zu denen ich allerdings selbst heute nicht neige.

was ich aber auf jeden fall mitnahm von jenem moment: einer seiner aufsätze, konkret können wir wollen, was wir wollen?, hat danach mein denken ziemlich massiv beeinflusst. damals noch ein gewagter gedanke, diese präzise kritik an der "willensfreiheit", heute im grunde "state of the art", nur selbst- oder zu sehr in ihr ego verliebte bemerken den ziemlich blöden gedanklichen fehler, den sie machen nicht:

man kann in der tat nur das wollen, dessen man sich gewahr ist (ein bißchen im ton von hannibal lector's idee, daß man nur begehrt, was man auch kennt) - und den, der _alles_ kennt und damit wirklich frei in seiner wahl ist, den möchte ich gerne mal sehen. ich bin es nicht, ich strenge mich ja an, vieles kennen zu lernen, aber ich weiss, daß das eigentliche drama menschlicher existenz ist, daß man tot umfällt, ohne alle bücher gelesen, alle comics gesehen, alle platten und hörspiele gehört  oder gar alle filme und serien geguckt zu haben - nicht einmal die, von denen man kenntnis hat und geschweige denn die, von denen man nicht mal ne ahnung hat, daß sie existieren.

das war damals eine schon ziemlich dramatische einsicht. aber eben eine, die nicht von der hand zu weisen war. danke, michael, für den gedanken. und dafür, daß ein teil davon auf meine älteste übergesprungen ist ;)


lange rede, kurzer sinn: wie komme ich gerade heute auf MSS. nun, gestern gab's ein interessantes gespräch mit ihm im deutschlandfunk "Humanisten aller Konfessionen vereinigt euch", in dessen verlauf ich interessante entwicklungen und konvergenzen entdecken durfte. michael hat gerade ein neues buch heraus gebracht. "Entspannt euch! Eine Philosophie der Gelassenheit"


und - schwupps - ist er ganz bei mir (oder ich bei ihm, who cares). ich habe keinen blassen schimmer, ob er jetzt die stoa oder das dào für sich entdeckt hat, zum freund montaignes mutiert oder einfach nur alt und weise geworden ist - aber hey: jetzt fehlt nur noch die chinesische tee zeremonie gong fu cha und wir beide säßen dichter als je zuvor beeinander.

ich gieße trotzdem noch ein bißchen wasser in den wein: yuval noah harari. unaufgeregter und uneitler. der für mich "große wurf", der bei MSS noch aussteht. vielleicht ist es auch bloß meine nähe zu historiker und meine leichte skepsis philosophen gegenüber, die nicht aus dem fernen osten stammen ;)

hat mich auf jeden fall gefreut, noch mal seine stimme zu hören und seinen gedanken folgen zu dürfen. und zu bemerken, daß er wohl dann doch nicht der "vater der deutschen atheisten" sein möchte und in manchen passagen so klingt, wie ich das beim tee trinken und im gespräch mit freunden über das dào tue: versöhnt und gelassen.

ich habe bei der gelegenheit ein kleines kapitel bei archive.org für ihn angelegt und das buch eben für frau wang (1), die die tage geburtstag hat, bestellt. kein kitsch!




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