Donnerstag, 27. Februar 2014

aus den archiven thule 02

Der "Münchner Beobachter"


Seit seiner Übernahme durch die Thule im Sommer 1918 war der "Beobachter" das publizistische Organ der "Thule" gewesen, in dem die politischen Ereignisse aus der antisemitischen Perspektive kommentiert wurden.

Das Blatt selbst war schon 1868 gegründet worden und durch die Hände mehrerer Herausgeber gegangen, bis es schließlich 1900 von Franz Eher übernommen wurde.  Es vertrat antiklerikale und antisemitischen Ansichten, ein billiges Blatt mit 6 dreispaltigen Seiten, in dem vor allem Lokales veröffentlicht wurde und das keine besonders große Auflage erreichen konnte. Als Eher im Juni 1918 starb, übernahm die "Thule" durch die bereits erwähnte Vermittlung des Dr. Gaubatz den "Beobachter",  änderte dessen Namen in "Münchner Beobachter und Sportblatt". Der Inhalt wurde antisemitischer und bestand nun zum Teil aus Nachrichten über Pferderennen. Hier wurden die Anzeigen des Germanen-Ordens und der Thule veröffentlicht, aber auch Nachrichten aus der völkischen Szene Münchens.



Am 31. Mai 1919 erschien hier ein 12-Punkte-Programm, das Sebottendorff im Dezember aus Berlin mitgebracht hatte und die Thesen der Nachkriegs-DSP (Deutschsozialistische Partei), auf die in der Folge noch eingegangen weden soll, darstellte, und das den 25 Punkten, die Hitler im Februar 1920  für die NSDAP verkünden sollte, zum Vorläufer wurde.

Als Sebottendorff den "Beobachter" im Frühjahr übergeben mußte, übernahm Hanns Georg Müller die Herausgabe des Blattes, das weiterhin in den Händen der "Thule" verblieb und zwei "Thule"-Mitglied als Redakteure aufwies: Wilhelm LaForce und Marc Sesselmann, die später hohe Funktionen in der NSDAP übernehmen sollten. Neben Gottfried Feder schrieb auch der 'völkische' Pfarrer Bernhard Stempfle für das Blatt , der zunächst mit Hitler sympathisierte, diesem bei der Abfassung von dessen "Mein Kampf" behilflich war und schließlich eines der Opfer des Röhm-Putsches werden sollte.

Im Oktober brachte der "Beobachter" die erste Nachricht über eine öffentliche Versammlung der DAP (Deutsche Arbeiter Partei) vom 16. Oktober im Hofbräukeller, bei der ein "Herr Hitler von der DAP" feierlich die Notwendigkeit einer Union gegen das Judentum und der Schaffung einer deutschen Presse plädiert habe.

1920 wird der "Beobachter" von Bernhard Köhler übernommen, der wie Sesselmann und LaForce in der NSDAP eine hohe Funktion übernahm  . Köhler vertrat entschieden die Ansicht, daß es "der Tod der völkischen Bewegung sei", sich allein einer Partei anzuschließen.

Dennoch blieb der "Beobachter" weiterhin ein unschätzbares Hilfsmittel, (er) ... veröffentlichte fortlaufend antisemitisches 'Beweis-Material' und diente als Sammelkalender der zahlosen völkisch-rechtsradikalen Veranstaltungen in und um München. Aber nicht nur als Plattform zahlreicher nationalistischer Splittergruppen mit konkreten Querverbindungen, wie etwa zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund der All-Deutschen oder zum Münchner Zweig des OSTARA-Bundes, sondern auch als Initiator von völkischen Arbeiterclubs zum Kampf gegen die Linke, den sich auch die "Thule" zum Motto gesetzt hatte.

Hitler, der sich als Mitarbeiter angeboten hatte, wurde jedoch zunächst abgelehnt. Erst die Weihnachtsausgabe brachte schließlich die Meldung, die NSDAP habe das Blatt übernommen. Der Kauf des Blattes, das zunehmend in Gefahr geriet, in die Hände von Separatitsten zu gelangen, war möglich geworden durch die finanzielle Unterstützung Ritters von Epp, der seinem Freund Dietrich Eckhart Gelder aus Armeefonds beschaffte  .

Dietrich Eckhard, 1868 als Sohn eines Rechtsanwaltes in Neumarkt geboren, ein verkrachter Schriftsteller, Morphinist und Alkoholiker, der sein Versagen einer 'jüdischen Verschwörung" zuschrieb, hatte zum politischen Wissen der "Thule" die Idee eines "charismatischen Führers" hinzugefügt, den er in Hitler entdeckt zu haben glaubte.

Eckhart, 1919 ein vom Drogenbmißbrauch und schwerem Trinken gezeichneter Mann, der "Urvater der Bewegung", wie Hitler ihn in "Mein Kampf" bezeichnet   "wurde so etwas wie ein väterlicher Freund für Hitler, der nicht nur auf geistigem Gebiet viel von ihm lernte, sondern auch im gesellschaftlichen Umgang und Auftreten". Er war seit Dezember 1918 Herausgeber des Blattes "Auf gut Deutsch", das auf der selben Linie lag wie der "Beobachter", verständlich, war Eckhart doch auch von den selben geistigen Vorbildern geprägt, wie sie auch in der "Thule" vorherrschten: Lanz von Liebenfels, List, Feder.

Eckhart hatte Hitler schon früh kennengelernt, der "väterliche Freund" hatte Hitler während des Kapp-Lüttwitz-Putsches mit nach Berlin genommen und dort angesichts des Scheiterns des Unternehmens die Gelegenheit genutzt, ihn in die Berliner "völkische" Gesellschaft einzuführen. Die beiden waren "ein unzertrennliches Paar" und es ist anzunehmen, daß es Eckhart war, der den Mythos des Führers und dessen Legende strickte, wie Heiden schreibt:

"Wer das historische Glück gehabt hat, an einem Sommerabend des Jahres 1919 die Weinstube "Brennessel" in dem Münchner Künstlerquartier Schwabing zu betreten, der konnte dort an einem Stammtisch der Erfindung Hitler beiwohnen, oder der Erfindung der Adolf-Hitler-Legende."

Neben Eckhart arbeitete an dem neuen "Beobachter", der schon im August 1919 erstmalig unter "Völkischer Beobachter" erschienen war, auch Alfred Rosenberg, den die Russische Revolution nach München getrieben hatte. Rosenberg, der aus dem Baltikum kam, hatte die Revolution 1917 in Mokaus miterlebt, zuerst aber noch sein Studium abgeschlossen und war dann mittellos nach München geflohen, der ein Buch mitbrachte, daß die Leute in der "Thule" als Beweis ihrer verwirrten "Verschwörungs"-Ideen betrachteten: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Dieses Buch, das in der Thule wohl einiges Aufsehen erregt haben muß und von dem Rosenberg behauptete, ein Fremder habe es ihm auf den Tisch gelegt (einer jener geheimnisvollen Fremden, die angeblich immer in die Weltgeschichte eingreifen, indem sie z.b. einem amerikanischen Präsidenten ein Siegel anvertrauen, daß heute auf jedem "green back" zu bewundern ist), war eine eindeutige Fälschung des russischen "Okharana" der zaristischen Geheimpolizei, dazu verwendet, die Judenprogrome zu Beginn des Jahrhunderts zu rechtfertigen, eine krude Mixtur aus einer Erzählung Hermann Gödsche's und einer französischen Sartire über Louis Napoleon. Rosenberg, der fest an die Protokolle glaubte, die für ein die gestohlenen Protokolle des 1. Zionistenkongresses in Basel 1897 darstellten, ließ sich auch in der Folge, als die Beweise für die Fälschungen offenbar wurden, nicht von seiner Überzeugung abbringen und verlegte das Buch 1923 erneut

Nicht nur Rosenberg, auch Hitler war von diesen "Protokolle der Weisen von Zion"  überzeugt, die - das sollte vielleicht auch an dieser Stelle erwähnt werden - in den USA in Henry Ford einen begeisterten Anhänger fanden, der sie millionenfach drucken und unter seinen Arbeitern verteilen ließ.

Als Rosenberg nach München kam, traf er schnell auf Eckhart, abeitete für dessen "Auf gut Deutsch" und wurde "Thule"-Mitglied, die ihn in Person des Alldeutschen Verlegers Lehmann schließlich nach dem Fall der Räte-Republik vor der Ausweisung aus der Stadt bewahrte, da er Russe war und alle Russen ausgewiesen werden sollten. Auch er war Anhänger der Gedanken Lists und Chamberlain's, dessen Buch "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" ihn zu seinem 1930 erschienenem "Der Mythos des 20. Jahrhunderts"   inspirieren sollte. Er wurde zum ersten außenpolitischen "Vor-Denker" Hitler's und im Trio mit diesem und Eckhart dürfte sich auf der Basis dessen, was sich Hitler schon in Wien zusammengebraut hatte, das entstanden sein, was er als "Weltanschauung" über das Deutsche Volk brachte.

Die erste Begegnung Rosenberg's mit Hitler, aus der eine feste Freundschaft bis zum Zusammenbruch werden sollte, fand Ende Mai 1919 statt, nachdem Eckhart und Rosenberg eine Sitzung der DAP besucht hatten, wo Rosenberg zum ersten Mal von Hitler gehört hatte, in Eckharts Haus statt. Bei dieser Gelegenheit diskutierten die beiden die unterminierende Tätigkeit des Bolschewismus, der wie einst das Christentum Rom nun Deutschland zerstören werde. Rosenberg war nicht nur sofort begeistert von Hitler, er sollte durch seine Verbindungen zu anderen baltischen Emigranten, vor allem zu Dr. Erwin von Scheubner-Richter, schließlich dazu beitragen, daß sich die Finanzen der DAP mehr als günstig entwickeln sollten

Rosenberg, der nach eigenem Bekenntnis "ein vollkommen der Kunst, der Philosophie und der Geschichte hingegebener Mensch" war, der "nie daran gedacht hatte, sich jemals in die Politik zu mischen", als er nach Deutschland kam,  wurde später der "Chefideologe" der NSDAP und des "3. Reiches".


Thule, DAP und DSP

Schenkt man den Worten Sebottendorff Glauben, so ist die Idee, die Arbeiter für die "völkische" Idee zu gewinnen von ihm: Schon im November 1918 ließen die Vorträge Gottfried Feders ... einen Plan reifen, der Sebottendorff schon lange bewegte. Er wollte die Arbeiter gewinnen. In der "Thule"-Gesellschaft wurde Bruder Karl Harrer ausgewählt, um einen Arbeiter-Ring zu bilden. Ingenieur Gottfried Feder erbot sich, Vorträge zu halten."

Feder, der sich gegen Ende des Krieges von seiner Bauunternehmung zurückgezogen hatte, um sich ganz seinen finanzpolitischen Ideen widmen zu können, sprach erst im Dezember in der "Thule"  . Zwar hatte er sein "Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft" schon im November (20.11.) dem Ministerpräsidenten der ersten provisorischen Regierung, Eisner, vorgelegt, aber das, worauf Sebottendorff hier anspricht, hat wohl nur wenig mit Feder zu tun.

Es war vielmehr Harrer, der am 2. Oktober 1918 eine Versammlung des Werkzeugmachers Drexler besucht hatte, und diesen in die "Thule" zur Gründung eines "Arbeitervereins" einlud.

Anton Drexler war schon seit 1917 politisch aktiv, trat aber erst mit seinem "Arbeiterausschuß für einen guten Frieden" im März 1918 an die Öffentlichkeit. Der Ausschuß vertrat die Forderung nach einem "Sieg-Frieden", der jedoch "kein brutaler Gewaltfrieden, kein wilder Anexions und Eroberungsfrieden sein"   dürfe, ganz im Vertrauen auf "Hindenburg-Ludendorff und unsere glorreiche Armee". Es gelte "das schamlose Treiben der Kriegswucherer und Schleichhändler ... zu bekämpfen". Der WeltTyrann war hier noch England ...

"Drexler, der eindeutig von dem Akademiker Dr. Ing. Paul Tafel" 'gesteuert' wurde"   hatte vor allem seine Arbeitskollegen um sich geschart, 28 Mitglieder gehörten diesem Ausschuß an, der jedoch das Interesse einer größeren Zuhörerschaft nicht fand.

Erst die Begegnung vom 2. Oktober mit Harrer, dem ersten öffentlichen Auftritt Drexlers mit einem Vortrag zum Thema "Arbeiterfrieden und Heimatfront", brachte die ersten Anzeichen einer Wende. Noch im Oktober wurde der "Politische Arbeiterzirkel" gegründet, eine "Vereinigung ausgewählter Persönlichkeiten zwecks Besprechung und Studium politischer Angelegenheiten"  , womit der eher konspirative Gedanke seinen Ausdruck fand. Wenige Tage vor dem Ende der Monarchie fand sich hier eine Gruppe zusammen, die Strategieen besprechen sollte.

Im Dezember brachte Sebottendorff aus Berlin das Grundsatzprogramm der Deutsch- Sozialistischen-Partei (DSP) mit in die "Thule", das mit seinen 12 Thesen an die 25 Thesen der NSDAP erinnert, das Hitler 1919 verkünden sollte.

  1. Freier Grund und Boden. Verstaatlichung des deutschen Bodens. Alle Hypotheken sind in unkündbare, kurzfristige Tilgungshypotheken umzuwandeln, Herabsetzen des Zinsfußes. "Jedem seine eigene Scholle".
  2. Ablösung des römischen Rechtes durch das germanische Gemeinrecht als  "Angelpunkt unseres künftigen Seins und Bestehens"
  3. Verstaatlichung des Geldwesens, um Bank- und Börsenmanöver auszuschließen. "Nur wirkliche Arbeit soll belohnt werden"
  4. Allmähliche Umgestaltung der Wirtschaft in eine "wirkliche Volkswirtschaft"
  5. Einschränkung des Grundbesitzes
  6. Gerechte Steuerverteilung um Groß-Kapital zu verhindern
  7. Ausschaltung des unnötigen Zwischenhandels, damit Waren nicht teurer würden als nötig.
  8. Das Parlament solle nur noch beratende Funktion haben, das Volk aber direktentscheiden
  9. Bildung eines Reichswirtschaftsamtes, in dem nur verdiente Persönlichkeiten bestimmen sollten.
  10. Unabhängige deutsche Presse, da sie zu 90% in Besitz der Juden seien
  11. Ende der Gleichberechtigung von Juden und Deutschen, da der Konflikt zwischen Deutschtum und Judentum keine Religions- sondern eine Rassenfrage sei.
  12. Schutz der deutschen Arbeiter vor Fremdarbeitern  

Diese Thesen wurdem im Januar in den "Allgemeinen Ordensnanchrichten" und im März im "Münchner Beobachter" veröffentlicht. Ihnen lagen die Grundsätze der "Deutschsozialen Partei" zugrunde, die Theodor Fritsch schon vor dem Krieg unterstützt hatte, und deren erst Ortsgruppe 1911 Johannes Hering in München gegründet hatte.

Die Nachkriegs-DSP, im Winter 1918/19 von Alfred Brunner und Heinrich Kräger ins Leben gerufen, eine "weitere Ausgeburt des Germanen-Ordens", fand in Sebottendorff's "Beobachter" mehr Aufmerksamkeit als die kleine Partei, die Harrer und Drexler am 5. Januar 1919 im Fürstenfelder Hof aus der Taufe hoben: die "Deutsche Arbeiter Partei" . Nachdem sich der Zirkel einen Monat damit beschäftigt hatte, Vorträge Harrer's zu Themen wie "Wie der Krieg entstand", "Deutschland's größter Feind: Der Jude" und "Wie wir den Krieg hätten gewinnen können" zu hören, hatte Drexler im Dezember darauf gedrängt, eine Partei zu gründen. Harrer, eher konspirativem Wirken zugeneigt angesichts der scih zunehmend verschärfenden Lage in München, stimmte unter Bedenken zu. Der Partei traten nun wiederum Drexler's 26 Arbeitskollegen bei, ihr Programm klang sozialistisch, stellte aber einen vorsichtig antisemitischen "christlichen" Sozialismus dar: "Das Großkapital ist als Brot- und Arbeitgeber zu schützen, sofern nicht rücksichtsloseste Ausbeutung des Arbeiters diesem ein menschenwürdiges Dasein möglich macht", darum "darf es nicht Sozialisierung, sondern die Gewinnbeteiligung für den deutschen Arbeiter heißen". Erst nach der Niederwerfung der Räte-Republik im Mai wagt es Drexler, der bis dahin es unterlassen hatte, die "Räte-Juden" zu reizen, das Judentum als "Feind der ganzen nichtjüdischen Menschheit"   anzugreifen.

Die Entwicklung der Ereignisse hinderte die DAP jedoch daran, öffentlich für sich zu werben. Mitglieder verließen angesichts der Bedrohung durch die Räte die Partei und diese gewann wieder eher konspirativen Charakter, tagte, wie die vielen anderen "völkische" Zirkel und Kreise im "Taubenschlag", der "Thule"-Gesellschaft im Hotel "Vier Jahreszeiten", oder im Cafe Gasteig, bzw. bei den Mitgliedern zuhause. Sebottendorffs Behauptung, 220 Mitglieder der DAP seien gleichzeitig auch "Thule"-Mitglied gewesen, stimmt jedoch nicht. Der Vergleich früher NSDAP-Mitgliederlisten mit der Thule-Mitgliederliste, die er im Anhang seines Buches aufstellt, läßt nur nur 20 Mitglieder der DAP als Thulisten erkennen. Der Grund hierfür kann vielleicht darin gesehen werden, daß die "Gentlemen-Verschwörer in der "Thule" angesichts der gemischten Beteiligung an der Partei lieber weiter in ihrem privaten Zirkel Fragen von politischer Wichtigkeit debattierten und, wie Sebottendorff, die Nürnberger DSP unter Julius Streicher aus der Ferne interessanter fanden.

Die DSP, deren Forderung nach "Gemeinnutz vor Eigennutz" später im Program der NSDAP aufgenommen wurde, hatte in Julius Streicher, "der als Wortführer eines pornographischen Lumpenantisemitismus von sich reden machte und besessen schien von wüsten Phantasieen über Ritualmorde, Judenbrunst, Weltverschwörung, Blutschande und jener alles beherrschenden Zwangsvorstellung von schwarzbehaarten, geilen Teufeln, keuchen über unschuldigem, arischem Frauenfleisch "  einen dynamischen Führer gefunden, der es eher wahrscheinlich erscheinen ließ, daß den Zielen der "Thule" Gehör verschafft würde. Streicher, später Herausgeber des "Stürmers" und seine Gruppe wurden jedoch 1921 in die NSDAP eingegliedert, nachdem sich herausgestellt hatte, daß der von Eckhart erfunde "Führer" in Adolf Hitler zu sehen war.


Hitler und die Thule


Die Wende in der DAP kam am 12. September 1919, als die Partei im "Leiberzimmer des Sterneckerbräu's" eine öffentliche Versammlung abhielt, in deren Verlauf Gottfried Feder über seine Thesen referierte und eine Diskussion mit den Zuhörern entbrannte. Ein Professor Baumann vertrat bayrische Separationsforderungen und ein Zuhörer ergriff das Wort, um diesen heftig anzugreifen. Nach der Diskussion überreichte Drexler ein Exemplar seiner neuen Broschüre "Mein politisches Erwachen. Aus dem Tagebuch eines deutschen Arbeiters" dem erregten Streiter.

Der Mann, der in dieser Versammlung so lauthals für seine Ziele stritt war Adolf Hitler, der weniger aus persönlichem Interesse an der Versammlung teilgenommen hatte, sondern von der Reichswehr als Spitzel dorthin geeschickt worden war. Sein Vorgesetzter Karl Mayr hatte den Auftrag, alle 49 Parteien und Organisationen zu überwachen, die es in München gab und die DAP war nicht die erste Partei, die Hitler als Spitzel besucht hatte. Er war in "Bildungskursen" in dem ausgebildet worden, was die Reichswehr an Gedankengut in der Bevölkerung verankert wissen wollte. Er kannte Gottfried Feder schon in dessen eigenen Kursen gehört und kannte dessen Thesen.

Karl Mayr, der schon im August zum Förder Hitler's wurde und sich später zu einer der wichtigsten Verbindungen entwickelte, die Hitler für seinen Aufstieg zu nutzen wußte, schrieb in seinem 1941 erschienenen Artikel über den Hitler, den er damals kennenlernte
"Ich stand 15 Monate in täglichem Kontakt mit Hitler und ich glaube, daß ich diesen Mann so gut wie jeder andere, wenn nicht besser kenne. Ich kannte ihn, bevor er die Rolle des Führers beanspruchte und an sich zog, manchmal selbst denen gegenüber, die um ihn waren. Nach dem 1. Weltkrieg war er nur einer von den vielen Tausenden ehemaliger Soldaten, die durch die Straßen liefen und auf der Suche nach Arbeit waren.Er hatte nie diesen "Tod oder Deutschland"-Martyrer-Geist, wie später so oft behauptet wurde, um ihn hochzuheben. Er hätte damals genauso gerne für einen jüdischen oder einen französischen Arbeitgeber gearbeitet wie für einen arischen. Als ich ihn zum ersten Mal traf, war er wie ein müder herumstreundender Hund, der ein Herrchen suchte."  
Hitler fand nicht nur sein "Herrchen" im München des Jahres 1919, mit der DAP, die er innerhalb kürzestester Zeit nach seinem Eintritt an sich riss, fand er auch den Weg zur MAcht. Seine Weltanschauung", die er nach eigenem bekunden schon in Wien ausgebildet hatte, und die hier ihre letzte Prägung durch die Verbindungen, die sich nicht nur über die DAP und die hinter ihr stehende "Thule" sondern auch über Karl Mayr und Ernst Röhm für ihn eröffneten, erhielt, fand in Pamphlet Drexler's ein ersehntes Pendant. Er las es "mit Interesse durch; spiegelte sich ja in ihm ein Vorgang ab, den ich ähnlich zwölf Jahre vorher am eigenen Leibe auch durchzumachen hatte."

Die nun folgende Zeit, September bis Dezember 1919 widerlegt Sebottendorff Behauptung, Hitler und die "Bewegung" das direkte Kind der "Thule" gewesen seien, wenn auch die Ansprüche, die er zu Beginn auf die "Instrumentarien" erhebt, nicht von der Hand zu weisen sind: Die DSP war, wenn auch nur indirekt über den Germanen Orden mit der "Thule" verknüpft. Sie war die zunächst erfolgreichere Partei, in Norddeutschland gab es mehrere Ortsgruppen der DSP und die Nürnberger Gruppe unter Streicher war durchaus als Alternative zur bislang eher kümmerlich vegetierenden DAP in München, die wiederum zwar in direkter Verbindung mit der "Thule" stand, in der Sebottendorff allerdings unterdessen nicht mehr die Rolle spielte, die er sich gerne selbst zugesteht.

Auch der "Beobachter", den Hitler regelmäßig las, ist nur indirekt als "Morgengabe" Sebottendorff's zu betrachten, obwohl der Erfolg, den er hatte   und die Rolle die er in  der Folge einnehmen sollte, sicher in Sebottendorff's Aktivitäten begründet liegen. Aber die Jahreswende 1918/19 hatte wichtigere Ereignisse zu bieten, als die "Abenteuer" eines "herumstreundenden Hundes" aufzuzeichnen. Es war die DSP, der das Interesse und die Sympathie des Ordens und der "Thule" galt, und erst als Hitler der "Mann der Stunde", ausgestattet mit der "Legende" Eckharts und dessen tatkräftiger Werbung, wurde, zog er die Augen des "Beobachter" auf sich.

Hitler, plötzlich von allen wegen seiner Fähigkeit zu reden  bewundert und nach vorne gestoßen bzw. auf den Schild gehoben, griff zu. Er hatte wenig gemein mit dem konspirativen Gehabe der "alten Herren", die sich nun verzweifelt mühten, die Fäden in der Hand zu halten, die längst andere spannen. Er war auch deren Bildung und gesellschaftlichen Umgangsformen nicht gewachsen. Worüber er verfügte, war das pseudo- mystische, pseudo-politische, pseudo-wissenschaftliche Vokabular, daß er in sich hineingestopft hatte, und das Talent, das dumpfe Unwohlsein angesichts einer sich radikal verändernden Welt in diesem Vokabular zu artikulieren.

Er wurde herumgereicht in der Gesellschaft Münchens und er erschien dort wie eine Karikatur Karl Mays: "Durch die offene Tür sah man, wie er auf dem schmalen Gang die Gastgeberin fast unterwürfig höflich begrüßte, wie er Reitpeitsche, Velourhut und Trenchcoat ablegte, schließlich einen Gürtel mit Revolver abschnallte ..."  , ein Geck, in seinem "blauen Anzug ... violette(m) Hemd, braune(n) Weste und knallrote(r) Kravatte ... eine Ausbuchtung in der Hüftgegend"   ein Hanswurst, der zum allgemeinen Entsetzen aller Zucker in den Wein tat  . Und das gebildete Publikum,  humanistisch vorgebildet, spendete geneigt Applaus, wenn er zu einer seiner "Reden" abhob!

Es war nichts "Wohlerzogenes" an diesem Hitler, dem sich hier als 30-jährigem Mann von heute auf morgen alle Türen öffneten, durch die vorher die "Gentlemen-Verschwörer" der "Thule" auch gegangen waren. Aber er wurde zur Integrationsfigur derer, die ungeduldig den Weg aus der "Vereinsmeierei" an die Öffentlichkeit suchten, nachdem offensichtlich keine Gefahr mehr bestand von seiten einer zerschlagenen Revolution. Für Konspiration als Strategie bestand kein Anlaß mehr und Harrer, der dieser Idee weiter anhing, mußte sich plötzlich isoliert sehen, da es Hitler schnell gelang, Drexler auf seine Seite zu ziehen. Im Januar 1920, als es offenbar wurde, daß Hitler mehr öffentliches Interesse als Redner auf sich gezogen hatte, daß immer mehr Zuhörer zu den Veranstaltungen der DAP, die sich nun in "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" umbenannte, tratt Harrer aus der Partei aus.


Die Thule von 1919-1923


Der Streit, der im Verlaufe des Jahres 1919 zwischen Sebottendorff und dem "Thule" Mitglied Knauf wegen der Verantwortung für die Verhaftung der sieben erschossenen "Thule"-Mitglied ausbrach, und die öffentlichen Angriffe gegen Sebottendorff  zwangen diesen, sich aus München zurückzuziehen und seinen Platz Knauf zu überlassen, der ihm auch im Bund "Oberland" folgte. Die "Thule" war immer noch der Treffpunkt der "völkische" Aktivisten, Lehmann, Rohmeder aber auch Dietrich Eckhart und Rosenberg waren weiterhin regelmäßige Gäste der "Thule", Hans Frank trat ihr im Sommer bei. Die "Thule" und die Bibliothek des Dr. Krohn, die dieser schon 1917 aufzubauen begonnen hatte zur umfassendsten Sammlung antisemitischer, nationalistischer und pseudo-okkulter Literatur aufzubauen, waren beliebte Treffpunkte, an denen man sich "weiterbildete". Dr. Krohn war natürlich "Thule"-Mitglied trat aber eher als Vertreter des Germanen oder Wälsungen-Ordens auf.

Der Germanen-Orden, als Oberorganisation dessen, was Sebottendorff in München als "seine" "Thule"-Gesellschaft, als sein "Revier" für sich beanspruchte, hatte unterdessen im "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" endlich die Organisation gefunden, die ihr den lang ersehnten Zulauf brachte  . Vorsitzender der bayrischen Zentrale des von Alfred Brunner dem Bundeswart des "Reichshammerbundes" gegründeten Bundes wurde das Nürnberger "Thule"-Mitglied Kurt Kehlen. Der Bund wurde 1922 wegen seiner Verstrickungen in den Rathenau-Mord aufgelöst

Die Aktivitäten der "Thule" in München wurden im Februar 1920 Aufgabe des Nachfolgers von Knauf, Hermann Bauer, der schließlich Vorsitzender der "Vereinigten Vaterländischen Verbände Bayerns" wurde und damit den Einfluß der Thule sicher nicht schwächte, eher steigerte, stellte dieser Verband doch eine einflußreiche Plattform dar  . Sein Nachfolger, Marc Sesselmann, der 1920 noch Mitarbeiter des "Völkischen Beobachters" gewesen war, leietete die Thule noch Jahre, ehe er schließlich seinen "verdienten" Platz in der Herrschaftsclique des 3. Reiches fand. Der Zwist, der 1923 innerhalb der "Thule" angesichts des gescheiterten Hitler-Putsches ausbrach, und der mit ihm verbundene Mitgliederschwund, wurde zum Teil durch neu eintretenden NSDAP-Mitglieder ausgeglichen, besonders der "intellektuellen" wie etwa Rudolf Hess und Karl Fiehler. Nach 1926 sind nur wenige Lebenszeichen der Thule auszumachen.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten machte 1933 ein Wiedererstehen der Aktivitäten im Hotel "Vier Jahreszeiten" in München möglich: Die "alten Herren" fanden sich zusammen, Sebottendorff, Phoenix aus der asche, wurde mit seinem Buch "Bevor Hitler kam!" derjenige, der ihren Platz in der "Ahnengalerie" forderte. Aber sein Buch und mit ihm auch sein Anspruch wurden nicht zugelassen, Konspiration war das letzte, was eine Massenbewegung ertragen konnte, zu sehr hatte sich das Gesicht des Nationalsozialismus gewandelt. Sebottendorff verschwand im Gefängnis und dann für immer. Sein Buch verschwand für 15 Jahre mit ihm. Die "Thule" folgte diesem Schiksal.

Eine der letzten Einträge Rüttingers verzeichnete, daß man ihm den Zugang zu öffentlichen Ämtern auf Lebenszeit verwehre, da er Mitglied des Germanen Orden ewesen sei. Am 26. August wurde er darüber informiert, daß dies "einfach der grundsätzlichen Haltung der NSDAP gegenüber Freimaurerei" sei, und dagegen "keinen Einspruch einlegen" durfte


Nachbetrachtung


Die vorliegende Arbeit möchte keine Verschwörungstheorie beweisen, schlimm genug, daß ein Mann, der von einer solchen verfolgt wurde, Millionen Menschen dafür büßen ließ. Das Thema läßt eine Vielzahl von Optionen offen, die unterschiedlichen Gesichtspunkte, unter denen die Beteiligung von Menschen mit pseudo-mystischen und pseudo-okkulten Überzeugungen an der politischen Entwicklung zunächst einer Stadt, dann eines Landes und schließlich einer ganzen Welt gesehen werden kann, können durchaus neben- und miteinander bestehen, ohne sich auszuschließen. Viele Raster sind nötig, um das Geflecht der Bezüge, gegenseitiger Beeinflussungen und Wechselwirkungen zu erkennen. Eine pauschale Antwort wie "letzte Zuckungen des Kapitalismus" oder "das Monster Hitler" kann nur verhängnisvoll einseitig sein. Objekt der Untersuchungen sind nicht Strukturen, es sind Personen, Menschen mit den unterschiedlichsten Anschauungen und Identitäten, Entwicklungsprozesse im Bewußtsein dieser Personen, die letztendlich das "machen", was wir Geschichte nennen, Ziel dieser Arbeit war es deshalb, Menschen zu beschreiben, deren Ideen ein wenig aufzuhellen und ihre Rolle in dem zu beleuchten, was Sebottendorff als "sein" Spiel betrachtet und beschreibt. Aber Sebottendorff spielt in diesem "Spiel" selbst nur eine Rolle, wenn auch eine schillernde. Sein Buch kann, kritisch betrachtet, einen guten Eindruck vermitteln von dem, was in der beschriebenen Zeit geschah und wie es von denen gesehen wurde, für die die Veränderungen das Ende der alten Zeit bedeutete, unverständlich bleiben mußte, weil sie sich verzweifelt an ihren Haß gegen das Neue festklammerten.

Daß dieser Haß, dieser aus tiefster Furcht entstandene Fanatismus gegen das Unverstandene das bestialischste Verbrecher-Regime ermöglichte, sollte uns dazu anhalten, immer wieder zu versuchen, diese Zeit nicht mit unseren, sondern mit ihren Augen zu sehen.  Um zu verstehen, daß es oft genug die Dummheit ist, die regiert, und der Verstand, der ihr folgt wie Schafe.


Literatur


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Maser, Werner: Die Frühgeschichte der NSDAP. Frankfurt/M. 1965

Maser, Werner:  Hitlers "Mein Kampf", Entstehung, Aufbau, Stil, Änderungen, Quellen, Quellenwert, kommentierte Auszüge, München und Esslingen 1966

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Plewnia, Margaretha: Auf dem Weg zu Hitler. der "völkische" Publizist Dietrich Eckhart, Bremen 1970

Schmolze, Gerhard: Revolution und Räte-Republik in München 1918/19 in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1969

Sebottendorff, Ridolf v.: Bevor Hitler kam. Urkundliches aus der Frühzeit der nationalsozialistiscen Bewegung. München 1934 (2. Auflage)

Suster, Gerald: Hitler and The Age of Horus, Glasgow 1981

Toland, John:  Adolf Hitler, Bergisch Gladbach 1977

Tyrell, Albrecht: Vom "Trommler" zum "Führer". Der Wandel von Hitlers Selbstverständnis zwischen 1919 und 1924 und die Entwicklung der NSDAP, München 1975

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