Blog Honig
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Mittwoch, 17. Oktober 2012
schon wieder so ein crosspost
jonas schaibel hat auf carta geantwortet ... und ich habe dort mal wieder alles vollgeschrieben ...
jonas,
[..] Von denen, für die das „Nie wieder“ kein Imperativ mehr ist
also von den vollidioten, die glauben, die geschichte selbst, unsere eigene zumal, sei kein imperativ, und glauben [mir fällt es schwer, das wort "denken" in diesem zusammenhang zu gebrauchen] es ginge auch ohne???
[..] den Zeitgeist der Renationalsierung
also, da du [du verzeihst mir, aber das "Sie" habe ich im HBForum mit absolutem widerwillen verwendet] mich oder meinen kleinen undramatischen blog (tv3) nicht kennst: ich höre seit 1987 bewusst wortradio und halte mich sowohl für gut informiert als auch für fähig, mir im strom der sich zT. widerstrebenden meinungen, ein “bild” zu machen, was der “zeitgeist” ist, weil ich auch aushalte, was mir widerstrebt.
ich habe das angedeutet, wie es mir ging, als vor ein paar jahren dieser ganze mist anfing: ich war massiv irritiert und auch ein bißchen in sorge, daß sich dieses land jetzt wieder in genau das verwandeln würde, wovon ich dachte, die 70er und 80er hätten das beendet: einen stupid selbstverliebten haufen von teutonen an dessen wesen die welt mal wieder genesen muss.
zu meiner überraschung ist genau das _nicht_ passiert. die dämlich herumlavierten kanzleröse hat die kurve bekommen, dummschwätzer wie dieser fdp-rebell haben sich _nicht_ durchgesetzt, die erste partei, die dachte, sie könnte von der angeblich herrschenden antieuorstimmung profitieren, ist irgendwo bei 1 komma nochwas prozent gescheitert. selbst diese islamophobe tucke aus den niederlanden, der dachte, anti-europa sei der kracher, musste sich gerade halbieren lassen.
wo bitte siehst du einen beleg für deine vorstellung? ich kann das – nicht weil ich ideologisch verblendet bin, sondern weil ich zuhören kann – beim besten willen einfach nicht erkennen.
klar, ich entdecke auch beim dlf den einen oder anderen (soll ich die namen nennen?), der schon mal wider den stachel löckt, aber ich kann nicht erkennen, daß europaNeurotische ideen sich bei den – achtung! – halbwegs vernunftbegabten durchsetzen würde.
wohl sehe ich in den leserbriefspalten der mainstreampresse immer mehr hysterische kreischer, aber … ahem … die sind nur deshalb in der “mehrheit”, weil sie mit ihren schulhofmanieren die anderen schlicht vertrieben haben. man könnte tatsächlich den eindruck bekommen, die seien nie da gewesen oder es gäbe sie nicht, aber das ist ein irrtum.
ich sehe auch – und zwar über die jahre weg und in aller deutlichkeit – dass viele dinge, die ich zu anfang befürchtet habe (ich bin 70er sozialisiert, da befürchtet man einiges, man hat ja gelernt, daß die welt von heute auf morgen in die luft fliegen könnte …), schlicht _nicht_ passiert sind.
eben deine vorstellung von “renationalisierung”. jonas, das ist kompletter bullshit. im gegenteil, ich sitze da und höre, wie sie sich abmühen, sich zusammenraufen. klar sind die verunsichert und wenn ich mir die deutsche politik der letzten jahre angucke, die vor überheblicher dummheit und kleinkariertheit nur so strotzt, kann ich das auch verstehen. aber, tut mir leid, dir da deine illusionen rauben zu müssen: nichts fällt auseinander.
na gut, belgien demnächst, aber eigentlich haben die letzten jahre doch gezeigt, daß selbst die ihren internen sch### auf die reihe bekamen. obwohl ich da für die nächsten monate nach den wahlen am sonntag nicht mehr so optimistisch bin …
[..] meine Diagnose.
ist ein sammelsurium angelesener beiträge aus den leserbriefspalten der mainstreammedien, tut mir leid, das so deutlich sagen zu müssen. wärst du ein arzt, du würdest mich nie wieder sehen.
meine lautet anders: es gibt große verunsicherung. es gibt menschen, die sich verunsichern lassen – und es ist nicht meine oder deine aufgabe, diese unsicherheit zu verstärken.
_wir_ sind an einem punkt, an dem wir mal langsam gesicht zeigen sollten, da stimme ich karl lamers vollständig zu, statt hier irgendwelche ängstlichen diagnosen abzugeben, alles nur noch desaströs zu finden und spöttische kommentare abgeben, weil wir zu feige sind zu sagen:
das ist europa und ich will mehr europa!.
ich will, daß OLAF seine arbeit macht, ich will, daß das parlament mehr befugnisse bekommt und ich will, daß dieser nationale sch###, mit dem unsere regierungen seit jahrzehnten die weiterentwicklung des gemeinsamen hauses europa behindern, aufhört.
das problem liegt nicht in europa. _wir_ als nationalstaaten sind das problem und wir als bürger, die wir uns von unseren regierungen bären aufbinden lassen.
ich verweise noch mal auf das buch von menasse, der ja auszog, um in brüssel das monster zu finden … und sich statt dessen verliebte.
ich könnte jetzt stundenlang so weitermachen, aber ich will dich nicht überfordern.
versuch zu verstehen, daß ich nicht aus einer ideologischen position argumentiere – ich bin _informiert_ und teile dir mit, daß meine informationen, meine akkustischen beobachtungen über 3 jahrzehnte, mir ein anderes bild zeichnen. eines, daß vielleicht unsexy ist, das bohren jeder menge kleiner bretter – aber die arbeit wird gemacht und ich kann nicht erkennen, daß ausser solchen hirnis wie victor orban etwa, eine der europäischen mächte das anders sieht.
na gut, wenn _wir_ deutsche so weitermachen mit unserer neurotischen “an unserem wesen”-haltung, dann werden unsere kinder eben wieder krieg spielen müssen.
[..] Wir kommunizieren hier ziemlich aneinander vorbei.
ich verstehe schon, daß du nicht “antieuropäisch” argumentierst. aber du redest von einer position, die längst keine mehr ist, weil aus deinem text heraus spricht, daß du resigniert nur noch die gegenposition referierst und deine eigene bis zu einem gewissen grad hinter dem berg hälst. für mich liest sich das wie das sprungbrett ins rattenrennen. später kannst du sagen “ich hab’s ja schon immer gewusst”.
[..] Auch auf Twitter kommentierte jemand, das sei ein
[..] unmöglicher Anti-Europa-Text
dreh’s mal um: die “gegenseite” liest deinen text als beleg für ihre position und als signal, daß “selbst du” ja schon den schwanz eingezogen hast.
für mich war es kein “anti” text, aber es ist einer, der blasiert den eigenen untergang kommentierend zur kenntnis nimmt.
schon okay, das ist für mich eine frage des alters, wobei alter keine schande, jugend aber auch kein vorteil ist. als ich in dem alter war, war deutschland für mich ein postfaschistischer staat, die “charaktermasken” gehörten abgeknallt oder in einen wandschrank, wo ihnen dann der “prozess” gemacht werden sollte … soviel zum thema “jugend” und ihren vorteilen.
alter macht nicht nur alt und starrsinnig oder besserwisserisch, alter führt auch dazu, daß man versucht, seine eigenen wurzeln zu suchen und sich in eine aus der vergangenheit rührenden linie zu verorten.
in meiner “linie” haben die männer, die mehring in seinem “Marseille, Silvester 1940-41″ auflistet, versucht, eine bessere welt zu gestalten – mich vom europäischen projekt zu verabschieden, erschiene mir als verrat an diesen männern. stephane hessels steht in dieser linie und ich bin glücklich, daß er das wort ergriffen und die jugend angerührt hat (oder die zig exemplare, die ich am erscheinungstag gekauft und an meine kiddies und deren freunde verteilt habe …)
wo stehst du? woher kommst du? in welcher linie siehst du dich?
bevor man fragen über den zeitgeist beantwortet, sollte man das wissen.
sonst bleibt es eben dieses unzusammenhängende 128zeichenzeugs, dessen inhalt man tag für tag den gegebenheiten anpassen kann.
in diesem sinne …
und nur damit ein paar direkte fragen nicht unbeantwortet bleiben
[..] Kann es sein, dass du hier viele kritisierst, aber nicht mich?
okay, ich bin sehr empfindlich geworden, was das thema angeht und auch sehr unwirsch, ich reagiere sehr heftig und vor allem gebe ich mir keine mühe mehr, “freunde” zu “machen”.
aber ich denke schon, daß ich _dich_ kritisiere, weil ich ich grunde menschen, die auf “carta” schreiben gerne “meine leute” nennen würde, halbwegs gebildet, informiert und eher der aufklärung und der zukunft als den mythen vergangener tage zuneigend.
und genau das macht mich ja so wütend: daß ich bei “meinen leuten” diese vorauseilende resignation lese, dieses “kaufen” des “narrativs”, statt sich der eigenen position bewusst zu werden: _wir_ sind durch die bank internationalisten, weil _wir_ menschen sind, die mit dem internet diese ganzen lächerlichen nationalen barrieren zertrümmern müssten … und statt dessen die wehwehchen der national bornierten mit pflästerchen garnieren.
[..] Wenn du sie mal einen Moment lang nicht als dumm,
[..] infantil und ungebildet verurteilst
ich habe auf dem quixiot eine hohelied der dummheit gesungen:
man kann niemand verurteilen, weil er “dumm” ist – er kann ja nix dafür. aber man kann konstatieren, daß er es ist. dobrindt zb. ist ein vollidiot, hör ihm einfach zu, wenn er allen ernstes den vorschlag mit der kontrolle der EZB durch die Bundesbank macht: der hat doch ein rad ab der mann und nicht einmal ansatzweise verstanden, was das ist “europa”. und redet dann so einen sch####??? das ist ein boshafter volliditiot.
[..] glaubst du dann immer noch, dass die EU nicht auseinanderdriftet?
wie gesagt: es ist das eine, das über jahre weg zu beobachten (für mich: zuzuhören), dinge über jahrzehnte zu verfolgen und dann zwischendrin mal eine zwischensumme zu machen … und das andere, sich durch blogs und leserbriefe zu fressen – zwei vollkommen verschiedene planeten.
nur – für mich zählt die gemeinsam geteilte narrative des dlf und nicht das, was irgendein hirni beim spiegel in einem artikel oder einem leserbrief schreibt.
weil, den dlf hören alle die, die entscheiden, den spargel lesen die (heute) wie eine theaterkritik. früher haben die den mal montags ängstlich aufgeschlagen, ob was über sie drinne stand, heute pfeifen die da drauf. halt mal wieder ein shitstorm, der 4676te, sch#### drauf …
aber den dlf, den hören die leute, die etwas bewegen in diesem land, alle. ich sage bescheid, wenn der mal in richtung europaNeurose umschwenkt oder das gros der menschen, die dort interviewt werden, das vertrauen in ihr europäisches handeln verloren haben.
dem ist nicht so. sage ich dir als jemand, der sich das seit 3 jahrzehnten antut und ohne die 18:00 sendung nicht mehr leben könnte, keines der features verpasst – und den samstäglichen “soundcheck” mal als seinen sonntäglichen gang in die messe bezeichnet hat.
es ist eine frage, was du ernst nimmst. und du nimmst offensichtlich dieses infopopcorn ernst. sei so lieb zu dir selbst und fang an, den dlf zu hören ;-)
ach ja, glaub nicht, ich hätte nicht schon stundenlange sendungen über den möglichen zerfall der eu oder des euro gehört (liste gefällig? mein wohlgepflegtes archiv reicht bis in die frühen 90er, eigentlich zurück bis zu dem tag, als barschel baden ging …), ich höre auch diesem milchbubi aus der FDP zu, herrn sinn und wie dieses ganzen selbstgefälligen dummschwätzer heissen …
aber ich kann deinen “zeitgeist”, dein “auseinanderdriften” nicht erkennen – nicht weil ich es nicht sehen _will_ – ich sehe es einfach nicht …
[..] Liege ich da halbwegs richtig?
nein, du liegst falsch, aber das kannst du nicht ahnen, weil du mich und meine kleinen besessenheiten nicht kennst. ich kritisiere dich und diesen text, weil er etwas blasiertes hat, das darauf beruht, nur die teile der wirklichkeit zu beschreiben, die _du_ siehst (und auf der basis deines alters, deiner sozialisation und deiner angewohnheiten) zum “zeitgeist” erklärst.
einmal abgesehen davon, daß mir der zeitgeist sonstwo vorbei geht, so etwas mache ich selbst, aber ich beuge mich doch nicht diesem modekram: ich übersetze ihn mit “alle machen das doch mittlerweile und ich frage mich, wie lange ich noch auf verlorenem posten stehen muss”.
meine reaktion darauf ist ein tritt in den hintern, damit du wach bleibst und … den anfängen wehrst, statt sie nur resigniert zu referieren ;-)
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