Blog Honig

Samstag, 22. Dezember 2012

Aus den Archiven: Eine Band lernt fliegen


Liebe auf den ersten Blick war es nicht.


Meine erste Begegnung mit der Band, aus der später die Lusthansa entstehen sollte, nämlich Elbereth, war beim besten Willen nicht das, was ich mir erhofft hatte. Die Bläser, die sich scheinbar nicht damit abgefunden hatten, dass es erst ein einziges Mal gelungen war, solides Mauerwerk durch den Einsatz von Blasinstrumenten zum Einsturz zu bringen (das war übrigens in Jericho und ist in jeder guten Bibel nachzulesen), eben jene Bläser und (ich will es nicht verhehlen, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen) eine gewisse Überdosis Alkohol, trieben mich nämlich schon nach relativ kurzer Zeit in die Toilette der Konzer Beethovenhalle, wo ich verharrte, bis John Cippolina und Nick Cravenites auf die Bühne kletterten.




Jazz-Rock ist einfach nicht meine Musik, und zu jener Zeit schien es so, als habe sich die ganze Trierer Musikszene gegen mich verschworen. Trier war eine reine Jazz-Rock-Stadt, und jeder Musiker, der etwas auf sich hielt, schien sich verpflichtet zu fühlen, endlose mathematische Berechnungen aufzustellen, um sie dann, musikalisch umgesetzt, den Leuten im Publikum aufzuzwingen. Und jeder, der nicht eine gewisse Untergrenze an Breaks in der Minute überschreiten konnte, hätte Schwierigkeiten gehabt, einen Gesprächspartner zu finden, der ihn ernstnimmt. Die Szene war eng und konservativ. Niemand schien wahrzunehmen, dass es in London gebrannt hatte und dass der Funke zum Kontinent übergesprungen war und hier in Deutschland zu flackern begann.

Elbereth auch nicht. Die Band hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Zenit erreicht. Ich vermag die Qualität ihrer Musik nicht zu beurteilen, aber sie waren recht bekannt in Trier und Umgebung. Ich weiss nur, dass Bernd damals schon eine fetzige Gitarre spielte, die den Akzent eher auf Rock als auf Jazz setzte.

Punk war schon vier Jahre tot, und niemand in dieser Stadt schien das zu sehen, was in Rest-Deutschland an Neuer Musik passierte. Die sogenannte "New Wave" (ein grässlicher und absolut nichtssagender Begriff übrigens) hatte sich in den bundesdeutschen Plattenläden breitgemacht und die alten Schemen begannen zu verblassen, wie Fürze, die sich nun mit einem leichten Stinken verflüchtigten. Die Rockhelden der Siebziger waren abgesagt. Kein Schwein interessierte sich mehr für den schnellsten Schützen im Westen, die sterilen Plastikprodukte alternder Kämpen waren tot, wie ein Teil ihrer Interpreten selbst. Die Kids verloren einfach das Interesse daran, sie wollten diese Musik, die einfach Spass macht und die ihnen erlaubt, sich auszutoben. Die Sex Pistols hatten im Hause E.M.I. eine Entwicklung ausgelöst, die damit endete, daß die Firmen ihre Gruppen reihenweise feuerten (falls sie nicht schon immer eine Menge Scheiben abgesetzt hatten oder doch zumindest irgendwie funkelnagelneu aussahen).

Hans ,Punk' Keller erfand in SOUNDS den Begriff "Neue Deutsche Welle", den sich die Plattenindustrie natürlich sofort griff, um ihn als Sticker auf alle Platten zu kleben, die neu und vor allem deutsch waren. Deutsche Gruppen begannen plötzlich locker und unverkrampft mit ihrer Muttersprache umzugehen, und es gab eine Menge von dieser Musik: Ideal, Hans-A-Plast, Palais Schaumburg, Die Fehlfarben, Spliff. Abwärts. Und sie wurde gespielt. "Wir waren alle Helden für eine Nacht", eine riesige Anzahl neuer Gruppen entstand, unabhängige Labels entstanden, die Welle wurde lustig und schlielsslich sogar von den Hitparaden geschluckt.

Ein Teil der Elbereth-Musiker begann zu begreifen, dass etwas in dieser Musik war, was der Elbereth-Musik fehlte: Eine Menge Leben und Spass. Dass in ihr mehr Möglichkeiten waren, sich selbst auszudrücken. Und das in einer Form, die die Leute im Publikum ansprach, die sie verstanden, weil sie ihre Sprache sprach und ihre Beine ins Rollen brachte.

Bernd, Uwe, Phil und ein Mädchen, das Uschi hiess und immer verdammt lange Stiefel trug, begannen im Proberaum Musik zu machen, die ihnen einfach Spass machte. Sie spielten die Sachen nach, die sie kannten, und die in Trier unter New Wave liefen: Police, Nina Hagen, Ideal.

Sie begannen eigene Nummern zu macben, und irgendwann hatte das Kind einen Namen: "BUSHBAND". Unglücklicherweise gab es zu jenem Zeitpunkt sowohl in den Staaten als auch in Deutschland Bands, die so hiessen, und die Gruppe war wieder namenlos. Was eigentlich wiederum nicht so wichtig ist, weil niemand daran dachte, mehr aus ihr zu machen, als sie war: Ein Spass.

Elbereth platzte schliesslich und die Jungs konzentrierten sich auf ihre neue Musik - die sich vom Jazz-Rock dadurch unterschied, dass sie keine Grenzen und Regeln kannte. Die Band ohne Namen hat das verstanden und sie war zunehmend bereit, den Spass, den sie hatte, auch zuzugeben. Pascaline Iöste Uschi am Mikrophon ab und aus einem Spass wurde das Projekt "Lusthansa".

Im Dezember 1981 fand der erste Auftritt statt, im Jugendzentrum Exzellenzhaus, im Maul des Löwen, vor einem Publikum, das jeden einzelnen Musiker kannte und bisher von der "Musikmaffia" mit erlesenen Konzerten versorgt und verwöhnt wurde. Zur Uberraschung aller war die Reaktion des Publikums besser, als die Band erwartet hatte. Aber Pascaline ging nach Hamburg und die Band sah sich nach einer neuen Sängerin um, die sie mit Jutta Pardeike  fand. Peter, der früher schon mal bei Elbereth den Bass zupfte, stieg ein und die Band war komplett und lernte das Fliegen

Die ersten Konzerte waren noch etwas unsicher und steril, und die Tatsache, dass die Band vier Stücke von Ideal als Hommage an die Band, die sie angetörnt hatte, spielte, verleitete manchen dazu, die Band genau in dieses Kästchen zu stecken, eine typische Reaktion von Leuten, die glauben 'ne Menge Musik zu kennen und nun alles mit allem vergleichen müssen. Die Entwicklung hat gezeigt, dass ein Teil der alten eigenen Stücke noch heute fester Bestandteil der Gruppe sind, wie zum Beispiel "Reggae (Da leg' ich mich doch lieber hin)", das für mich mit seinen langen und dennoch präzisen Spielereien zu den besten Livestücken gehört, die sie draufhaben, oder "Trier", ihre Liebeserklärung an die "Heimat".

In der Folge häuften sich die Konzerte, und mit jedem Auftritt steigerte sich ihre Bereitschaft, "die Sau rauszulassen", solange Zugaben zu geben, bis auch der letzte im Publikum oder in der Band nicht mehr konnte.

Es gab plötzlich Konzerte, die vier Stunden dauern konnten, wenn das Publikum das so wollte, weil es gut drauf war, und davon hängt die Qualität eines Konzertes letztendlich ab.

Uber die erste Platte "Nur Fjutscha" kann man streiten. Im Frühjahr 82 ergab sich über Probeaufnahmen in einem Studio die Möglichkeit eines Plattenvertrages. Die Band griff zu, wer könnte es ihr verdenken. Die Aussicht, über eine grosse Firma professionell Platten vertreiben zu können, wo man anfangen kann, von der Musik und dem Spass, den man bei ihr hat, leben zu können. würde sich wahrscheinlich keine Gruppe entgehen lassen.


Als die Scheibe schliesslich erschien, hing sie um fast ein halbes Jahr hinter den Entwicklung der Band zurück, und niemand war recht zufrieden mit dem Ergebnis, aber alle waren froh. dass die Verzögerungen endlich ein Ende hatten.

Mit der Platte kamen die Public-Relation-Deals, die eigentlich niemandem recht schmecken wollten. Auftritte in Diskos vor einem endlos gelangweilten Publikum, das nett und adrett gekleidct, steril herumstand, vollkommen unberührt von wilden Gitarren, die sich bei Nicht-Zombies tief in den Magen fressen würden. Oder Interviews mit bekannten Fernsehschönsprechern, die, tief versunken in ihre Selbstdarstellung, nur noch zu lallen fähig sind, und das ganze über Äther den Leuten aufzwingen, die absolut kein Interesse an dem Gebrabbel haben.

Die Tatsache, dass sie da von schmierigen Rock-Bürokraten als Produkt verscherbelt wurden, machte niemandem in der Band Spass. Sie ist eine Live-Band, und die "Cry", "Get Up Stand Up", "Lively Up Yourself"" -, eine fast 20-minütige Version von "So Lonely" (incl. dem besten Schlagzeugsolo, das Phil je gespielt hat) und einer wilden, chaotischen Fassung von "Smoke On The Water" gehörten, Stücke, die sie nicht geprobt hatten und vollkommen improvisiert auf das Publikum losliessen.

Die Band heisst "Lusthansa" und für befangene Liebhaber wie mich ist das ein Markenzeichen. Allen eventuell entstehenden Legendenbildungen zum Trotz sind das nur vier Jungs und ein Mädchen,  die keine Stars, Helden oder sonstwas sind und das auch gar nicht werden wollen. Sie sind nette, einfache und gastfreundliche Leute, und sie machen Rockmusik mit deutschen Texten, auch wenn das gerade modern zu sein scheint und jeder diesen "Neue Deutsche Welle"-Sticker verpasst bekommt.

Sie machen Musik und wollen, dass ihr dazu tanzt. Das ist alles.



Quelle:  "Lusthansa - Anschlag in der Nacht", édition trèves, 1983

Ein paar zusätzliche Links:

YouTube


Der letzte Flug der Lusthansa (Trierischer Volksfreund)
Mario Boesen's Lieblingsband


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