Blog Honig

Donnerstag, 31. Mai 2012

was ist eigentlich aus den piraten geworden?

als ich vor über einem halben jahr hier auszog, um etwas verstehen zu lernen, was mir nicht so ganz verständlich war - konkret dieses ganze "euro/staatsschulden/vertrauens-krisen-ding" (ich werde später darüber berichten) - da waren "piraten" ja noch so etwas wie ein "nischenphänomen", interessant vielleicht für die digitale boheme, die aktiven netzrechtler, den nerd, der sich nicht mehr ganz so alleine fühlen wollte und neben der LAN-party eine zweite "kontaktbörse" IRL als spielwiese für sich entdeckte. einen ort, an dem er sich unter seinesgleichen weniger isoliert fühlt und vielleicht sogar plötzlich in der menge baden konnte.

ältere kennen das - früher nannte man das "festival".

am besten "umsonst & draussen", in seiner schönsten ausprägung etwa im hinterwald oder hunsrück, explizit im krahloch: man ahnt, man ist nicht allein in einer unverständigen umwelt und sucht die nähe zur peer-group. man kann das natürlich auch als bad in der menge, oder sollte ich besser sagen, "masse" betreiben und sich all die bands antun, die menschen mit geschmack so sehr meiden wie das damit verbundene getümmel.

was ist dazu geeigneter als ein dreitägiges gemeinsames bad im matsch?

oder, wenn sich die dinge gut entwickeln, einem abend am lagerfeuer mit gerade neu entdeckten artverwandten, die bongo oder gitarre spielen können, wissen wie man einen joint dreht oder fantastische geschichten über frühe indien-expeditionen ausbreiten können, während man selbst auf dem rücken liegend, breit wie ein plattgefahrenes opossum den sternenhimmel betrachtet und davon träumt, daß die welt ein wunderbarer ort sein könnte.

heute heisst der matsch ja "internet".

joints lassen sich virtuell nur schlecht gemeinsam rauchen, der sternenhimmel ist dem bildschirmschoner gewichen und statt der erzählungen von indien-expedition stehen nun diskussionen über den datenschutz an, aber das, was den einzelnen da treibt und was er sucht, scheint mir im grunde die selbe sache zu sein: die vorstellung, die "welt" oder doch zumindest doch das netz könnte, ja müsste sich doch in einen besseren ort verwandeln lassen.

war das "früher" eigentlich "romantischer"?

nun, man wurde jedenfalls realiter "stoned" und konnte sich so tatsächlich dem gedanken ergeben, daß die welt ein angenehmerer ort sein könnte, wenn man nur "mit" und "bei"-einander war, so "neben sich" oder "entrückt" man auch ggfl. war.

für drei tage jedenfalls. danach konnte/musste die "kutte" im extremsten fall dem anzug weichen und während man so am schreibtisch saß, steuerunterlagen sichtete oder an der maschine stand und löcher in stahlbleche bohrte, konnte man zumindest der vorstellung nachträumen, man sei ja, beinahe, in einen dieser bauwägen eingestiegen und in ein wildes & freies leben.

wie die "zigeuner".

die nannte man damals (also in den frühen 80ern) noch so - in aller unschuld und ohne heute sofort unterstelltes ressentiment -  weil man im deutschunterricht vielleicht eine geschichte gelesen hatte, in der ein igel seine letzte ruhe in einem lehmklumpen und dieser im lagerfeuer fand. heute würde das ja eine anhaltende diskussion auslösen, angestoßen von kleinkarierten nannies, die unter dem deckmantel "politischer korrektheit" ihren drang, andere zu kujonieren, austoben und so schon einmal worte, die durchaus einen "romantischen" klang besitzen können, durch einen "neutralen" fachbegriff ersetzen. man muss da vielleicht nachsichtig sein, weil "früher" das ja einfacher war, wie einer das so meinte, wenn er "zigeuner" sagte, eben "so oder so", "entweder oder". heute sieht (liest?) man das den leuten ja nicht mehr so direkt an und wenn - naja, die, die damit herumhantieren, die sollten es wohl besser nicht verwenden.

aber heute ist man ja nicht mehr, "korrekt", 

man ist, man darf zynisch und primitiv sein, ist so frei, das mal sagen zu dürfen, und kann sich im schlamm suhlen. festivals eben. auch wenn sich das manchmal liest, als habe man eine horde paviane zusammengetrieben und jeder protzt mit seinem gesäß - und was so dabei herauskommt.naja, das muss später noch geklärt werden.

ja, es war das "romantischer". oder man selbst eben "unschuldiger", auch so ein wort, das heute im sprachgebrauch ganz schnell dem "naiver" weichen würde. wie kann man nur, auf dem rücken liegend, die sterne betrachtend, von etwas träumen, was irgendwie "besser" sein könnte, einer welt, einem ort, einer idee.

ja, es war wohl all das: romantisch, unschuldig, naiv.

aber: es hatte folgen. wie die bergpredigt, wo alle ein paar halbtrockene brote teilten, während von oben herab verkündet wurde, daß den "armen im geiste" das "himmelreich" gehöre. den älteren unter uns reichte der herumgereichte joint und als ersatz für jesus spielte eben roman bunka seine bewußtseinserweiternden soli, während embryo um ihn herum den wieselnden jazz-klangteppich ausbreiteten auf dem man weit fliegen konnte.

in der folge, also den mittleren 80ern, sollte sich diese erfahrung, nicht alleine zu sein, noch "auszahlen". waren die grünen bis dahin in der wahrnehmung der öffentlichkeit noch ein nischenphänomen, etwas für  ungewaschene langhaarige berufsdemonstranten, sah diese sich plötzlich mit menschenketten und massenzusammenrottungen konfrontiert, die irgendwie keinen sinn darin erkennen mochten, sich löcher in den hunsrück bohren zu lassen, in die "mittelstrecken"-raketen für einen einsatz gestopft wurden, der allen den letzten spaß an einer besseren welt austreiben würde.

es hatte sich die schiere existentielle angst ausgebreitet und wer weiss schon, wie die sache ausgegangen wäre, hätte sich in russland nicht ein "bruder im geiste" gefunden, der diesem ganzen spuk ein ebenso schnelles wie überraschendes ende setzte.

leider nicht nur diesem spuk.

wahrscheinlich auch dem romantischen, dem unschuldigen, dem naiven traum davon, daß es besser zugehen könnte auf der welt. wozu auch? "wir" (wer immer das sein mag) hatten ja "gewonnen". die angst, innerhalb von 7 minuten vom planeten gefegt zu werden - perdu. die trennung von den "brüdern und schwestern in der zone" - obsolet, nachdem die hippies im anderen teil des landes ihren teil dazu beigetragen hatten und ihre "umsonst & draussen festival" montags unter der observanz der sich dazu beauftragt wähnenden "schildern & schwertern" veranstalteten, die schließlich auf der mauer endeten und sie so - "halleluja der turm stürzt ein" - zu fall brachten.

was folgte, war denn ja auch weniger "romantisch". dem traum folgte die er-nüchterung, dem - "was ist sie uns wert, die welt?" folgte das "was kostet die welt?". hatten "geier sturzflug"  noch 1982 im krahloch ihr ironisch gemeintes "jetzt wieder in die hände gespuckt, wir steigern das bruttosozialprodukt" direkt nach "marihuana" und "reggae im ruhgebiet" intoniert, wurde in den 90ern aus Ska Schlager und viel gespuckt, nicht nur in die hände sondern auf viel mehr.

auf die bis dato noch "gehegten" träume, zb.

wir waren zu beschäftigt. unsere kinder machten ihr bäuerchen und spukten die milchreste über unsere schulter, wurden groß und landeten in einer welt, in der sie sich über markenprodukte ihres sozialen status versichern sollten. der batik-t shirt mit der aufgedruckten sonne wich dem lacoste shirt, die ausgetretenen latschen der kindheit den sneekers ..

und, was so ziemlich das schlimmste an der sache war - in der sprache der rockmusik, die vorher noch die "lingua franca" der jugend der welt war mit ihrem "all you need is love", die stille revolution des planeten einleitete und den wandel orchestrierte, zog ein tonfall ein, in dem mord und todschlag, gewalt, diebstahl, das klingeln mit feisten goldkettchen zum allgemein akzeptierten gebahren wurden und unseren sprößlingen einen teppich ausbreiteten, auf dem man alles konnte, durfte, sollte ...

nur eines nicht: fliegen.

ich weiß, das war eine lange vorrede und der ggfl. hier vorbeitrudelnde leser fragt sich entnervt: "wo zum teufel bleiben denn nu die piraten?" und grummelt "hör mit diesen geschichten vom krieg auf, opi. schon okay, verdun war wahrscheinlich eine sause wert, du warst dabei, aber hast du nichts zur gegenwart beizutragen?"

wie das so ist, mit der gegenwart - man sollte, man muss die vergangenheit kennen, wenn man in der gegenwart nicht orientierungslos untergehen will.

es ist ja putzig, jedenfalls für den "oldi", den sprichwörtlichen "fifty years old hippie", wenn er plötzlich zeuge eines kleinen aufzugs wird, auf dem transparente "Mehr! Transparenz!" einfordern. eine ganz neue sache, dieses "transparenz"-dingens.

oder: hoppla, forderten die "grünen" nicht in den 80ern genau dies: "transparenz"? und - schockschwerenot - spielten sie damals nicht all diese kindereien wie die "rotation", die unverträglichkeit von amt und mandat  mit der größten liebe zur selbstzerfleischung durch?  immer unter dem höhnischen chor der kommentare der ewigen ober-schlauen, die besser wissen, wie die welt funktioniert - weil sie schon immer so war und es immer bleiben wird und nichts, aber auch gar nichts sich daran ändern wird.

und, macht nicht GELD die welt "rund"?

"haste was, biste was". man fühlte sich in die 50er zurückversetzt, dabei waren es die 90er. ein verlorenes jahrzehnt, musikalisch & menschlich. "Greed is good", wir erinnern uns, winston smith hatte viel zu tun in jenen jahren .

um den spannungsbogen zu halten, gebe ich mich jetzt mal den alltäglichen dingen hin und überlasse es der phantasie des geneigten lesers, sich den schrecken auszumalen, der ihn in meiner nächsten post ereilen könnte, wenn ich mir die "piraten vorknöpfe".

aber, wir kennen das ja aus den erzählungen eines "anhalters": bei dem bevorstehenden zusammenprall wird sich ein blumentopf in einen wal verwandeln, bevor er auf dem planeten aufklatscht und es wird nur zu einer leichten prellung an bord kommen.

ich darf aber nicht verraten, wer ge- oder verprellt wird ;-)

PS: und, nicht dass jetzt einer den tierschutzbund benachrichtigt - hier werden natürlich keine wale irgendwo aufklatschen. iwoh, es ging natürlich ausschliesslich um den spannungsbogen als solchen.

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