Montag, 22. Dezember 2014

entscheidungen

jahresendrally ... bevor ich mein "was ich immer noch nicht verstehe" endlich zuende schreibe, hier noch vorweihnachtlich schwere kost, gedanken, die ein paar aktuellen überlegungen und beobachtungen geschuldet sind.

das wird jetzt sehr persönlich, so persönlich, daß ich dem verwirrten leser zunächst einen kleinen ausschnitt aus einem meiner lieblingsbücher, "gespräche mit seth" von jane roberts, an die hand geben muss.
Dabei spreche ich weniger zu dem Teil von euch, den ihr für euer Selbst haltet, als zu dem Teil von euch, den ihr nicht kennt, den ihr teils verleugnet und teils vergessen habt. Dieser Teil von euch liest dieses Buch, ebenso wie »ihr«."
ich habe dieses jahr entscheidungen getroffen, die für die, die sich jäh mit ihnen konfrontiert sahen, verstörend gewirkt haben müssen - und ich treffe immer noch solche entscheidungen, komme zu einem ergebnis und "verhalte" mich.

vieles von dem, was ich und wie ich es tue, ist sicher meinem talent "nein" zu sagen geschuldet - an stellen, wo andere ein fröhliches "ja, gerne" oder ein "ja, ich sehe ein, daß ..." erwartet haben und sich dann unvermutet mit einem klaren "nein, nicht mit mir" konfrontiert sahen und - vor den kopf gestossen - lieber die flucht in erklärungsmodelle suchten, mit denen sie leben konnten. bis hin zu der, daß _sie_ die entscheidung getroffen haben und ich nur das passive objekt bin.

das ist wohl die natur unseres verstandes: wenn wir mit unvermutetem konfrontiert werden, biegen wir uns die dinge so lange zurecht, bis sie wieder "passen". wir weichen aus, weil wir - harmoniesüchtig, wie wir nun einmal sind - nicht gerne damit konfrontiert werden, daß sich "die wirklichkeit" für unser gegenüber anders darstellt, als wir sie gerne sähen. oder, um es mit seth zu sagen: "das ego ist ein schöner lügner". oder mit dem sprichwort "daß nicht sein kann, was nicht sein darf"

der andere, eigentlich wesentlichere teil, der mich zu meinen entscheidungen führt, ist der einsicht in meine eigene endlichkeit geschuldet - sorry, mein leben, der rest meiner zeit.

ich entscheide wo, wie und mit was oder wem ich sie verbringe. das ist tatsächlich eine frage des respekts, den ich vor mir selbst habe: nichts zwingt mich, den sisyphos zu spielen, wenn ich verstanden habe, daß dieser verdammte stein da oben einfach nicht liegen bleiben wird. ich war und ich bin immer noch an der stelle, an der ich für mich selbst wissen muss, ob er da liegen bleiben wird oder nicht, und wenn ich verstanden habe, daß nicht, gebe ich einfach auf.

ich habe also aufgegeben.

mich anderen dingen zugewandt. meine endlichkeit akzeptiert und meiner eher geduldigen bereitschaft, um des lieben frieden willens weiter steine den berg hinaufzurollen, die auf der anderen seite unweigerlich wieder hinabrollen werden, abgeschworen, weil ich nun mal endlich bin und mir die zeit davon rennt.

warum sie also mit sinnlosen tätigkeiten wie dem steinerollen zubringen?

ah, du hast gemerkt, daß das hier nichts für dich ist und dir fällt gerade mein lieblingszitat aus der einleitung montaignes ein
"C'est icy un livre de bonne foy, lecteur. Il t'advertit dés l'entree, que je ne m'y suis proposé aucune fin, que domestique et privee : je n'y ay eu nulle consideration de ton service, ny de ma gloire : mes forces ne sont pas capables d'un tel dessein." 
oder, modern ausgedrückt: "hier gibt es nichts zu sehen, hau ab!", was im grunde ja als motto dieses ganzen blogs gelten darf. lies lieber etwas, womit du was anfangen kannst und verschwende deine zeit nicht mit dingen, denen du nichts abgewinnen kannst ...

dies - als zweite warnung vor dem strikt persönlichen inhalt dieser post - gesagt, kannst du dich nun wichtigeren dingen des lebens zuwenden und etwas lesen, was dich erbaut, dich in deiner meinung bestärkt oder dir zuwider ist - und einfach aufhören zu lesen. beschwer dich hinterher nicht, deine zeit verschwendet zu haben.

entscheidungen treffen gehört zu den dingen, die menschen zuwider sind.

wir sind nicht (in der regel) so gestrickt, daß wir gerne dinge tun, die dramatische folgen haben könnten. gerade junge menschen, jedenfalls die, die ich so treffe, haben eine abneigung gegen entscheidungen. sie fühlen sich mehr der anpassung an das verpflichtet, was nun einmal ist.

für ältere menschen - und um einen solchen handelt es sich bei dem autor dieses blogs - sind entscheidungen noch heikler. sie haben sich eingerichtet und starren nun auf ihr ende, hoffen, es gestaltet sich nicht so wie das madame gaillards im "parfum" von patrick süßkind, die ihr lebtag um jeden sou geizt, um nicht im hotel-dieu wie ihr mann zu enden
"Und nun erst, mit zehn-, mit zwanzigjähriger Verspätung, kam der Tod herbei und kam in Gestalt einer langwierigen Geschwulstkrankheit, die Madame an der Kehle packte und ihr erst den Appetit und dann die Stimme raubte, so daß sie mit keinem Wort Einspruch erheben konnte, als sie ins Hotel-Dieu fortgeschafft wurde. Dort brachte man sie in den gleichen, von Hunderten todkranker Menschen bevölkerten Saal, in dem schon ihr Mann gestorben war, steckte sie in ein Gemeinschaftsbett zu fünf anderen alten wildfremden Weibern, körperdicht Leib an Leib lagen sie, und ließ sie dort drei Wochen lang in aller Öffentlichkeit sterben"
was uns lehrt: manche entscheidungen treffen wir aus ängstlichkeit nicht ... und doch ist es wie in der geschichte vom tod in (ich glaube es war in einem hörspiel von günther eich) samarra: ein mann flieht vor dem tod in diese stadt - und trifft ihn dort, wo der tod ihm eröffnet, daß er verblüfft war, ihn zunächst in der anderen stadt zu sehen, wo er doch mit unserem mann eben in samarra verabredet war.

es geht also nicht um das ende. es geht um den weg dorthin

ich poste ja seit vorletztem jahr an jedem 1. november, den ich seit meinem kleinen schlaganfall noch erleben darf, dieses zitat des hochverehrten michel de montaigne und verstehe das als kleinen "running gag" aber auch als eine hochernste angelegenheit: man sollte sich tatsächlich seines eigenen todes immer bewusst sein, der kommt einfach so um die ecke oder er schleicht sich heran und gibt einem noch die zeit, sich darüber zu beklagen, wie sehr man doch sein leben an dinge oder menschen verschwendet hat, die das nicht wert waren.

einen monat, bevor ich den kleinen schlaganfall hatte, saß ich mit meinen kindern im auto auf dem weg nach luxembourg, drehte mich zu ihnen um und sagte: "wenn ich jetzt sterben würde, würde ich das als zufriedener und glücklicher mensch tun". das wäre ein schönes epitaph geworden, aber ich habe mein ende ja sozusagen überlebt ...

ich mag dabei auch meine fehler, also das, was ich vermasselt habe.

das ist okay, man kann ja nichts im nachhinein ändern, vergossene milch. aber, wenn ich über die gespräche nachdenke, die die ehmalige viva/mtv-moderatorin mit sterbenden geführt und in ein buch kompiliert hat, und in denen diese menschen beklagen, daß sie viele dinge - wie etwa das anpassen an die erwartungen anderer  - im nachhinein bereuen, weiss ich: ich möchte das nicht.

ich treffe lieber in solchen situationen bewusste und vor allem wohl überlegte entscheidungen, auch wenn ich mir oder anderen weh tue mit ihnen. ich will nicht als tier im zwinger der erwartungen anderer enden, auch nicht als vogel im goldenen käfig. ein gemachtes bett kann ein nadelkissen sein, wenn man "keinen sinn mehr macht" für andere oder einfach nicht mehr weiss, mit wem man über was noch reden kann oder soll.

ich rede halt gerne mit menschen. auch mit denen, die andere meinungen haben als ich. hier wurde in den letzten monaten viel geredet, über den sinn des lebens und ähnliche dinge. ich hätte also, wenn ich nicht harte entscheidungen getroffen hätte, viele momente stillen glücks verpasst, in denen ich "sinn mache" und nützlich sein konnte für andere, die ich verpasst hätte, hätte ich weiter sinnlos steine den berg hochgerollt, was für mich wirklich keinen sinn mehr machte.

das war - in der tat - eine frage des selbstrespekts.

ob das nun eine eher mutige oder eine waghalsige entscheidung war, wird sich erst noch zeigen müssen. ob es mir dabei an respekt vor anderen oder es anderen an respekt vor mir mangelte, wohl auch. das sieht wohl jeder so, wie er es sehen möchte und da ist die eigenart des gehirns, sich die eigene geschichte schön zu schreiben ("das ego ist ein schöner lügner"), eine tröstliche einrichtung, die bei der bewältigung drastischer erfahrungen sicher hilfreich ist. es gibt aber auch die möglichkeit, das alles noch mal schriftlich festzuhalten, dann kann man nachlesen, wie und warum man zu entscheidungen kam.

ich fälle halt entscheidungen ... und so lange ich das tue, lebe ich ... und so lange ich lebe, treffe ich eben entscheidungen ... der kreislauf des lebens. über diese entscheidungen mögen andere urteilen, wenn ich asche bin.

was ich aber jetzt schon weiss: ich habe sie getroffen und nicht andere für mich.

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